Februar 2020
Bretter, die die Welt bedeuten
Jedes Jahr an Fasching treffen sich ein paar Freunde in Obereggen, um auf Fassbrettern Traditionspflege auf Ski zu betreiben. Ganz vorne mit dabei: Markus und Andreas aus der Ganis-Welt.
Martin Zelger, beraubt seine Zuhörerschaft jeglicher Illusionen. Frauen miteinbeziehen? Im Dialekt reden? Sich kurzfassen? „Natürlich komme ich diesen unhaltbaren Forderungen nicht nach“, sagt er bei der offiziellen Pressekonferenz des Vereins zur Erhaltung des historischen Skisports, der hier im Eggental im Volksmund „die Ponze“ genannt wird. Martin ist der Ponzenschreier, dessen Hauptaufgabe es ist, mitten im Schnee zu seinem heiteren Volk zu sprechen, das vor ihm auf zwei Bierbänken sitzt, sich prächtig amüsiert und kräftig applaudiert. Und bei Martins Rede zur Lage der Nation wird schnell klar: hier geht es heute alles andere als bierernst zu.
Für alle, die nicht Südtiroler Muttersprachler sind: als Ponze bezeichnet man hier ein Fass. Und dessen Bretter haben für Wintersportler anno dazumal die Welt bedeutet – weil man mit ihnen hervorragend den Schnee herunterrutschen konnte. Weil es in Obereggen irgendwann mal keine Rennen mehr zur Wahrung der Tradition gab, entschlossen sich ein paar Unentwegte, sich jedes Jahr an Fasching zu treffen, um mit ihren Ponzen einen Tag Skifahren zu gehen. Das ist historisches Skifahren Obereggen!
Andreas Pichler ist der einzige, der jedes Mal bislang dabei war. Zum 20. Mal dieses Jahr. Er fährt auf seinen Hochzeitsponzen, die wenn sie parallel zueinander stehen ein Herz und ineinander verschlungene Eheringe bilden. Das Hochzeitsdatum ist hinter der Bindung eingraviert, aber schneebeckt. „Zu lange“, stünde da, spotten seine Ponzenfreunde um ihn herum. Aber Andreas ist verdammt schnell und gewinnt in atemberaubendem Tempo und unter lautem Gebrüll die Speedponze – eine Schussfahrt von der Epircher Laner Alm zum Absam Stüberl. Spätestens da wird jedem klar, dass der Termin an Fasching zwar für jede Menge Spaß sorgt, das Ponzenskifahren in Lederhosen, Wollsocken und Bergstiefeln aber alles andere als Klamauk ist. „Die Bretter haben keine Kanten, wir verlagern das Gewicht mit Hilfe des Stocks“, erklärt Markus Pichler, wie Andreas einer, der seit Anfang an dabei ist. Markus zeigt seinen Skistock, der so dick ist wie ein Zaunpfahl und vom Schnee schon kräftig abgeschliffen wurde.“ Wer auf Ponzen Ski fährt, das wird jedem Beobachter klar, braucht jede Menge Geschick, Können und Kraft. Und mancher auf der Piste, der auf supermodernen Carvern unterwegs ist, hat größte Mühe hinterherzukommen.
„Nachher wollen wir noch etwas eleganter fahren – im Skilehrer-Style“, sagt Martin in die Kamera und legt die Messlatte damit schon mal ganz schön hoch. Zumal das Programm einige „Einstiche“ vorsieht – oder abgedroschen formuliert: Einkehrschwünge. Da singen sie dann inbrünstig ihre heimliche Nationalhymne „Dem Land Tirol die Treue“ oder das Lied von den Bergvagabunden, begleitet von Hüttenmusikern, blauem Himmel und einem grandiosen Panorama. Oder lassen sich bei einer Jause auf der Mayrl Alm in Obereggen von der Latscher Wurzelmusik mit aufsehenerregenden Instrumenten besingen.
Oder sie bereiten sich „auf eine besonders lange Etappe“ vor, wie Ponzenkassier Otti sagt, als auf dem Weg zur Zischgalm mal zwischen zwei Liften keine Möglichkeit zum Einstich liegt. Otti verwaltet den „Fondo Perduto“ und begleitet somit eine der wichtigsten Funktionen im Ponzenverein. Obwohl die Ponzenskifahrer, die an diesem Tag unterwegs sind, eigentlich keine Mühe haben, Hüttenwirten oder Skifahrer zu finden, die die Spendierhosen anhaben.
Deswegen glaubt Martin, der Ponzenschreier, ja auch, dass seine Funktion mit der riesigen Kuhglocke, die er mit sich führt, ähnlich unverzichtbar ist. „Meine Glocke ist das wichtigste Utensil überhaupt“, sagt er. Sie dient dem Zomleitn, das zum Aufbruch und zum Durchzählen animieren soll – allerdings schafften es die 14 Männer an diesem Tag nicht, höher als bis 7 zu zählen. Wobei solche Kleinigkeiten für den Verein „Die Ponze“ ohnehin nicht weiter beachtenswert sind. Die Ziele sind hoch gesteckt. 2026, wenn die Olympischen Winterspiele in den Dolomiten stattfinden, wollen sie um Medaillen kämpfen und haben extra dafür die FIP ins Leben gerufen – die Federazione Italiana Ponze. Und falls der extrem unwahrscheinliche Fall, dass es mit Olympia doch nichts wird, eintreten würde – wär’s am Ende wohl auch nicht so tragisch. Nicht zuletzt, weil Martin im Interview mit RAI Südtirol sagt: „Mit den Madeln, die wir früher mit unseren Ponzen beeindrucken wollten, sind wir heute verheiratet.“ Und was ist dagegen schon eine Olympiamedaille?
Text und Fotos: Jens Vögele | 360°-Kommunikation