Beeindruckend: die Wanderung durch die Bletterbachschlucht
Mit Geologin Irene auf den Spuren der Entstehung der Dolomiten! Die einmalige Schönheit der Landschaft zieht Urlauber immer wieder in die Dolomiten. Wie das alles entstanden ist, lässt sich bei einer Wanderung durch die Bletterbachschlucht erkunden. Einmal pro Woche steht die Erkundung des „Grand Canyon von Südtirol“ auf dem Programm. Ein Urlaubserlebnis der Extraklasse!
Manche Nachrichten sind so unglaublich wie erschütternd zugleich: „Die Dolomiten wird es in Zukunft nicht mehr geben“, erzählt Wanderführerin und Geologin Irene ihren staunenden Zuhörern, beruhigt sie aber gleich mit ihrem eigenen Humor: „Das wird aber erst in Millionen von Jahren sein – die meisten von uns werden das also wahrscheinlich nicht mehr erleben.“ Die unvergleichliche Schönheit der Dolomiten, die Berge, die Reinhold Messner als die schönsten der Welt bezeichnet, lockt jedes Jahr unzählige Gäste in den Ganischgerhof nach Südtirol. Viele genießen jeden Tag das Panorama beim Wandern, Mountainbiken oder Golf spielen – eine Wanderung mit Irene in die Bletterbachschlucht, die jede Woche auf dem Ganis Wochenprogramm steht, wird jedoch so schnell niemand vergessen, der einmal mit dabei war.
Wer morgens am Ganischgerhof in den Shuttlebus steigt, ahnt wahrscheinlich noch nicht, welches Spektakel ihn bei der einfachen Halbtageswanderungen durch den „Grand Canyon Südtirols“ erwartet. Los geht’s nach 20 Minuten Fahrtzeit in Aldein am Besucherzentrum des Geoparc Bletterbach. Irene verteilt die obligatorischen Schutzhelme – auch wenn die Wanderung nicht gefährlich ist, steht Sicherheit in der riesigen Schlucht, die sich über einen Höhenunterschied von 900 Metern vom Weißhorn bis zu ihrem Grund erstreckt, an oberster Stelle.
Schon beim Abstieg hinunter zum Bletterbach erweist sich Irene als wandelndes Lexikon: „Vorsicht Verwechslungsgefahr“, sagt sie zu den Pflanzen, die die Wiese übersäen. „Die Blüten sehen aus wie Krokusse. Und die Blätter wie Bärlauch – es handelt sich aber um die Herbst-Zeitlose, und die ist giftig“. Hunger hat nach dem ausgiebigen Frühstück am Ganischgerhof zum Glück sowieso noch niemand, weshalb diese Gefahr gebannt ist. 😉
Aber trotzdem stehen nach dem kurzen, steilen Weg zum Bletterbach alle mit offenem Mund da – vor lauter Staunen. Unten plätschert ein kleines Rinnsal links und rechts flankiert von gigantischen senkrecht abfallenden Felswänden.
Irene erklärt in einem fesselnden Monolog, wie die spektakuläre Schlucht hier entstanden ist: Der rötliche Bozner Quarzporphyr bildet die Basis der Schlucht und hat sich vor über 260 Millionen Jahren bei Vulkanausbrüchen gebildet. Darüber ist durch Erosion und Ablagerungen unter Druck der Grödner Sandstein entstanden. Als später hier alles unter Wasser lag, bildeten sich aus Gipseinlagerungen die Bellerophon-Schichten, bevor sich darüber die bis zu 400 Meter hohen fossilreichen Werfener Schichten setzten. Schicht fünf schließlich ist die Contrin-Formation, das Gestein, aus dem der Gipfel des Weißhorns besteht.
Wanderung durch die Bletterbachschlucht: Die schönsten Bilder
Kompliziert? Nicht verzagen, Irene fragen. Sie kennt alle Antworten auf der rund zweistündigen Wanderung durch die Schlucht, hält dabei immer wieder an und erklärt alles leicht verständlich bis ins letzte Detail. „Wir haben es grundsätzlich hier mit drei Ereignissen zu tun“, sagt die Wanderführerin. „Ereignis eins ist die Gesteinsbildung der fünf Schichten vor über 200 Millionen Jahren“, als – kaum vorstellbar – hier noch alles eben war. Ereignis zwei hat dies allerdings grundlegend geändert: „Vor 100 Millionen Jahren sind dann die Alpen entstanden“. Die Kontinentalplatten haben sich verschoben, Afrika hat gegen Europa gedrückt, was zur Auffaltung der Alpen geführt hat. Erstaunlich: auch heute noch, so erklärt Irene, befinden sich die Alpen in der Auffaltungsphase und wachsen rund einen Millimiter pro Jahr an. Allerdings führt die Erosion dazu, dass auch rund ein Millimeter pro Jahr wieder abgetragen wird. Das dritte Ereignis schließlich ist vergleichsweise jugendlich und erst 10.000 bis 20.000 Jahre alt. Als nach der letzten Eiszeit die Gletscher getaut sind und dadurch – wie Irene sagt – „das halbe Weißhorn runtervermurt“ ist, hat sich der Bletterbach gebildet und immer weiter in die Schlucht gegraben.
Bei schönem Wetter ist er heute ein kleines Rinnsal in den beachtlichen Dimensionen der Schlucht, wo am Anfang senkrecht die Gesteinswände von der Entstehung der Dolomiten zeugen. Die Erkundung der Schlucht ist einfach und aufschlussreich, vor allem unter fachkundiger Anleitung. Irene zeigt die Abdrücke, die hier einst Dinosaurier und andere Lebewesen hinterließen, findet fossile Pflanzenreste und erklärt die faszinierende Natur auf der Wanderung, bis am Butterloch der Talschluss erreicht ist. Hier stürzt sich über eine 30 Meter hohe Klippe ein imposanter Wasserfall in die Tiefe.
Aber auch auf dem Rückweg bleibt es interessant: Wie haben die Dolomiten eigentlich ihren Namen erhalten? Warum gehören Latemar und Marmolata zu den Dolomiten, obwohl sie gar nicht dolomitisiert sind? Und mit welchen Tricks aus dem Chemiebaukasten kann man unterwegs eigentlich Gesteinsarten genau bestimmen? Irene kennt die Antworten. Und auch wenn sie weiß, dass das Schicksal der Dolomiten irgendwann einmal besiegelt sein wird, sagt sie augenzwinkernd: „Solange wir die Alpen haben, wollen wir sie genießen.“
Text und Fotos: Jens Vögele | 360°-Kommunikation